Wie kann Trauma überwunden werden?
Das ist die gute Botschaft, Trauma kann überwunden werden! Nicht allein durch Bemühen und Tapferkeit, nicht mit Augen zu und durch und stell dich nicht so an und die Zeit heilt alle Wunden, nicht dadurch, dass ich die Angst verdränge oder darüber hinweggehe. Das funktioniert vielleicht kurzfristig, aber nicht auf Dauer. Ein Trauma wird dadurch erlöst, dass Energie, die durch ein überwältigendes Ereignis im Nervensystem gebunden ist, befreit wird. Zumindest ist das eine Möglichkeit. Jede/r finde seine eigene ganz persönliche Art und Weise!
Ein Trauma entsteht durch ein Ereignis, welches unser Nervensystem in einem Moment oder auch über einen längeren Zeitraum überfordert. Unser Stammhirn oder auch Reptiliengehirn ist in einer herausfordernden Situation darauf aus, anzugreifen oder zu fliehen, ganz wertfrei, je nach dem, was dem Überleben am Dienlichsten ist. Ist beides nicht möglich, führt das zu einer Erstarrungsreaktion. (Das ist unsere dritte hilfreiche Überlebensstrategie.) Wir kennen das von Tieren, die sich bei Gefahr totstellen und nach Vorübergehen der Gefahr wie auftauen, sich schütteln oder rennen und ihren Stress im Nervensystem damit abreagieren. Ist bei uns Menschen eine Situation überfordernd und die hohe Aktivierungsenergie wird für das System unhaltbar, blockiert unser Nervensystem automatisch. Wir haben auf diese 'autonome' Reaktion keinen aktiven Einfluss, daher sind auch Gedanken wie "Hätte ich doch nur..." unnötig. Es ist, als würden Gas und Bremse bei einem Auto gleichzeitig getreten. Diese Überforderung führt zu einer Erstarrungsreaktion und Handlungsunfähigkeit einerseits, und zu dem Gefühl der andauernden Gefahr, auch bei scheinbarer äußerer Sicherheit, andererseits. Im Leben eines Menschen kann diese dauernde Hochspannung im System zu zahlreichen Symptomen führen, zu chronischen Schmerzen, Wechsel zwischen Verstopfung und Durchfall, zu Depressionen und wenig Energie, überhöhter Wachsamkeit, Angst- und Panikattacken, kaltem Schweiß, übersteigerten Schreckreaktionen, zu Schlaflosigkeit und Entspannungs-schwierigkeiten. Ein Trauma kann auch unser Gefühlsleben und unsere Beziehungsfähigkeit maßgeblich beeiträchtigen. Es kann zu unterdrückter Wut und/oder Wutanfällen führen, zu der Unfähigkeit, sich überhaupt zu fühlen und damit zu erlebter Wehr- und Hilflosigkeit. Da wir wissen, dass wir erwachsene Menschen sind, kann diese Blockade zu Schuldgefühlen führen, denn eigentlich müsste man doch nur ...
Peter Levine, der Begründer der hier vorgestellten Methode SE (Somatic Experiencing), formuliert es folgender Maßen:
"Traumasymptome werden nicht durch das eigentliche Ereignis ausgelöst. Sie entstehen, wenn der Überschuss der im traumatischen Erleben mobilisierten Energie nicht entladen wird. Diese Energie bleibt im Nervensystem gebunden, wo sie verheerende Auswirkungen auf Körper und Geist haben kann."
Wird dem Menschen nun in einem geschützten und vertrauensvollen Rahmen die Möglichkeit gegeben, die Unterstützung, die in der überwältigenden Situation nötig und hilfreich gewesen wäre, nachzuerleben und neuzuverhandeln, kann sich die gestaute Energie lösen und wieder frei fließen. Unser Nervensystem hat eine angeborene garantierte Fähigkeit zur Eigenregulation, die unterstützt und angeregt, wieder zu einem harmonischen sich selbst Erleben führt.
Ein Mensch, der gleichzeitig voll auf dem Gaspedal und auf der Bremse steht, kann sich möglicher Weise nicht vorstellen, dass und wie das möglich sein soll, denn was geschieht, wenn ich den Fuß von der Bremse nehme... ? Damit es nicht zu einer Retraumatisierung kommt, arbeitet SE wohldosiert. Erst einmal wird die Orientierung im Hier und Jetzt wieder hergestellt, hier und heute ist es sicher! Woran merkst du das, entspannt sich ein bisschen was in dir? Dein heutiges Nervensystem darf erleben, dass deine innere Spannung zum dort und damals gehört. Damit trennt sich die Angst bewusst von deinem Körpererleben, was als sehr befreiend erlebt wird. Ressourcen werden gestärkt und es wird realisiert "Ich habe überlebt!" Wie? Das finden wir gemeinsam heraus, denn das sind deine Ressourcen, deine dir zur Verfügung stehenden Stärken, dein "Ich kann!" Dann ist der erste Schritt getan von dem erstarrten Glauben ein Opfer zu sein hin zu einem Leben in Selbstbestimmung und zunehmender Freude.
Es ist von elementarer Wichtigkeit zu verstehen, dass nicht unsere Geschichte uns fesselt, sondern ein Ereignis in unserem Leben unser Nervensystem blockiert hat. Diese Blockierung ist lösbar und wir können in unserem Leben neue Geschichte schreiben! Wir können unsere Geschichte loslassen und frei sein! Wir können wieder fühlende und beziehungsfähige Wesen werden, die ja sagen und nein sagen, die lachen und weinen, sich freuen und sich ärgern und sich aufeinander und die Umwelt einlassen können.